Mark Dunn: Nollops Vermächtnis (mare buchverlag)

Mit der Übersetzung von Nollops Vermächtnis ist dem Übersetzer Hennig Ahrens ein großer Wurf gelungen, denn der Titel birgt mehr als eine echte Herausforderung.

Auf einer fiktiven Insel leben, abgeschieden von der restlichen Welt, Menschen nach ihren eigenen Gesetzen. Über Wohl und Wehe entscheidet der Inselrat, und dieser entscheidet immer im Sinne des verstorbenen Nollop, dessen Statue auf dem Marktplatz thront, auf seinem Lebenswerk: einem Pangramm, einer Wortfolge, die alle Buchstaben des Alphabets enthält.
Zwar zeugt der Satz “Keiner schoss fixer als Jung Sybille das Kaul von Quappe mit der Zwille” nicht gerade von sprachlicher Eleganz, aber die Nollopier sind dennoch stolz auf ihren Gründer.

Doch eines Tages fällt eine der Kacheln das Pangramms zu Boden: das Z.
Der hohe Rat beschließt, daß dies ein Zeichen Nollops sei und die Inselbewohner fortan das Z aus ihrem Sprach- und Schriftgebrauch verbannen müssen. Bei Nichtbefolgen drohen Pranger, Auspeitschen, Ausgewiesenwerden oder gar die Todesstrafe.
Dummerweise fallen in den kommenden Tagen und Wochen immer mehr Buchstaben des Pangramms zu Boden, bis den Inselbewohnern schließlich nur noch 6 Buchstaben des Alphabeths zu einer verstümmelten Kommunikation bleiben und ihnen endlich eine rettende Idee kommt, mit der sich der Wahnsinn rückgängig machen läßt.

Das Buch ist ein Briefroman, und so erlebt der Leser die Schwierigkeiten und Nöte, bei der Kommunikation mit immer weniger Buchstaben auszukommen, hautnah mit.
Dieser Aspekt des Buches ist gelungen, unterhaltsam und läßt wie gesagt den Hut tief vor der Leistung des Übersetzers ziehen.

Der Plot hingegen kann nicht vollends überzeugen, denn Todesstrafen und Auspeitschungen wollen zu dem Bildungswillen und der Bildungsfreude des ansonsten nur rudimentär charakterisierten Inselstaates nicht so recht passen. Zwar sind Aldous Huxley oder George Orwell klar als geistige Paten der Idee zu erkennen, aber das Setting will nicht ganz zur Umsetzung passen, wirkt zu wenig durchdacht und ausgearbeitet.

Für Sprachliebhaber ist Nollops Vermächtnis dennoch ein Buch, das zu lesen vom Plot her zwar nicht zu fesseln vermag, sich vom Spaß an der Auseinandersetzung mit Sprache her aber zu lesen lohnt.

Mark Dunn kommt aus Memphis, schreibt Theaterstücke und lebt in New York. Nollops Vermächtnis ist sein erster Roman.

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Mark Dunn: Nollops Vermächtnis. mare buchverlag 2004. 240 Seiten. 19,90 Euro (Hardcover)
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens.

Thema: Sprache, staatliche Unterdrückung

  Momo Evers am 16.02.2006 | |
Belletristik

David Nicholls: Keine weiteren Fragen (Kein & Aber)

Die Schweizer von Kein & Aber sind ein noch recht junges Verlagshaus, dem mit seinem Programm vorab ein generelles Lob gebührt.

Der Klappentext von Nicholls optisch ansprechend gestaltetem Buch ist zitierenswert und zugleich ein Auszug aus dem Erzähltext:
“Bei verschiedenen Gelegenheiten in meinem Leben habe ich mich gefragt, ob ich ein Grufti, schwul, jüdisch, katholisch oder manisch-depressiv sein könnte, ob ich vielleicht adoptiert wurde oder ein Loch in der Herzwand habe oder die Fähigkeit, allein durch Willenskraft Gegenstände zu bewegen. Jedes Mal mußte ich zu meinem großen Bedauern konstatieren, nichts von alledem zu sein.”

Brian Jackson, liebenswert normal, Akne-geplagt und gleichermaßen voller Selbstzweifel und gutmütiger Selbstironie, verbringt sein erstes Jahr an der Universität.
Seine Ziele: Keine Vorlesung verpassen, sich für die University Challenge (ein Ratequiz, das im Fernsehen ausgestrahlt wird) zu qualifizieren und zu gewinnen - und sein Liebesleben auf Trab zu bringen.

All das gestaltet sich schwieriger, als Brian zunächst vermutet hat. Obschon er sein Bett zu einem Futon umgestaltet (indem er verwegen die Matratze auf den Boden legt), er in bierbesudeltem Kopf eine Michael Jackson-reife Tanzleistung auf das Parkett zu legen versucht (und sich dabei gnadenlos blamiert) und das schönste Mädchen der Universität (Alice, die ohne Frage aussieht wie eine blonde Kate Bush, leider aber mehr Verehrer als Brian Aknenarben hat) ihn zwar zu mögen scheint und in seinem Bett schlafen, dann aber doch den zweitklassigen Schauspieler aus dem Kleiderschrank läßt, will es einfach nicht so richtig etwas werden mit Liebe und Erfolg. Ganz zu schweigen davon, daß viele der wohldurchdachten Selbstinszenierungen in der Praxis dann doch nicht die erhoffte Wirkung zeigen. 
Und so lawiert Brian sich mit herzerfrischender Eigenartigkeit - im buchstäblichen Wortsinn - von Katastrophe zu Katastrophe und gewinnt schließlich doch das Herz des Mädchens, das zumindest der Leser in ihrer burschikosen Bärbeißigkeit von Anfang an zu seinem Favoriten gekürt hat.

“Keine weiteren Fragen” ist ein Buch für Kinder der 80er Jahre - wer damals jung war, sieht seine Jugend vor sich ausgebreitet, und zwar in einer klaren, pointierten Sprache und mit anrührendem Humor. Daß aus den Gedanken des jugendlichen Protagonisten ohne Frage die Abgeklärtheit des Autors spricht, für den alle Unwägbarkeiten des Erwachsenwerdens schon Jahrzehnte zurückliegen, schmälert das Lesevergnügen nicht.

Ein herrliches Buch für eine lange Zugfahrt oder einen Tag am Strand und unbenommen hervorragende Unterhaltungslektüre.

David Nicholls wurde 1966 geboren, lebt in London und “Keine weiteren Fragen” ist sein erstes Buch. Tom Hanks sicherte sich bereits die Filmrechte.

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David Nicholls: Keine weiteren Fragen. Kein & Aber 2005. 484 Seiten. 22,80 Euro (Hardcover)
Aus dem Englischen von Ruth Keen.

Thema: Erwachsenwerden, Anerkennung, seinen Platz im Leben finden, Studium, Selbstfindung, Selbstdarstellung, Frauen und Männer und die erste große Liebe

  Momo Evers am 16.02.2006 | |
Belletristik

Sally Gardner: Ich, Coriander (cbj) - Jugendbuch

Rein äußerlich ist »Coriander« ein herausragend schöner Titel. Die Covergestaltung ist sowohl optisch als auch haptisch rundum gelungen und lädt gleich zum Kauf ein, stimuliert dazu, das Buch in der Hand zu halten und darüber zu streichen.
Die Geschichte selbst zeichnen die Jugendbuchmacher von Bertelsmann mit einem »ab 10 Jahren« Stempel aus. Erzählt wird das Leben des Mädchens Coriander, die an den Ufern der Themse aufwächst, deren Mutter eine Fee und deren Vater ein Mensch ist. In sieben Nächten, im Lichtschein von sieben Kerzen, erzählt Coriander in sieben Kapiteln von ihrer glücklichen Kindheit, von den silbernen Schuhen, von ihrem ersten Besuch in der Anderswelt, in der sie die böse Fee Rosmore und ihren Raben kennenlernt. Vom Tod ihrer Mutter, vom Zerfall ihrer Familie, von dem Grauen, das Oliver Cromwells Herrschaft über England bringt. Von der Verlogenheit der Puritaner, von dem Feenschatten ihrer Mutter, mit dem Coriander die Feenwelt heilen und die Liebe ihres Lebens retten kann. Von ihrer unglaublich bösen und ungerechten Stiefmutter und ihrer vom Leben gezeichneten Stiefschwester, die schließlich doch ihr Glück findet. Vom Hin- und Hergerissen sein zwischen Verantwortung und Angst, zwischen Diesseits und Feenwelt.

All das sind schöne Elemente, dennoch überzeugt das Buch letzten Endes nicht. Schuld daran ist Gardners Sprache. Die Erzählung holpert, ist oft zu flach, reißt Stimmungen nur an und ist schon wieder bei einem neuen Gefühlsaspekt und hat den Leser abgehängt. Die Protagonistin Coriander schreibt zwar aus der Retrospektive, aber ihre Figur wirkt nicht rund, bleibt in der Charakterzeichnung unentschlossen, skizzenhaft und nicht greifbar, ihr Schicksal rührt nicht das Herz, obschon ihre Geschichte die besten Voraussetzungen dazu bietet.

So heißt es etwa (auf Seite Seite 262):
»Die silbernen Schuhe unter meinem Wams drückten an meine Brust, ich hörte die süße Stimme meiner Mutter rufen, und da wurde mir klar, dass ich zurückkehren und meinen Vater suchen musste. Schon um meiner Mutter willen musste ich mein kindliches Verlangen unterdrücken, Ihretwegen musste ich eine Frau werden und meine Aufgaben im Leben annehmen.
?Ist es nicht schon sehr viel, dass wir uns getroffen und ineinander verliebt haben??
?Nein?, erwiderte Tycho. ?Ich spüre genau, dass ich nur mit dir vollständig bin. Ohne dich ist der kleine Junge in mir für immer verloren.?
?Ich muss zurückkehren?, sagte ich.
?Das weiß ich?, antwortete er seufzend, gab mir einen letzten Kuss und stieg auf seinen Schimmel, um in den Wald zu reiten.«

Eine Frau werden und meine Aufgaben im Leben annehmen? Der kleine Junge in mir ist für immer verloren? Sind das Bilder für Leser ab 10? Wohl eher nicht. Ebenso wenig wie viele weitere Aspekte der Geschichte.
Dass der Verlag sich für eine Einstufung ab 10 entschied, liegt gewiss an der sehr einfachen, kurz-satzigen Sprache Gardners. Vielleicht auch an deren unbedarfter Übersetzung, aber um dies beurteilen zu können, müsste man das englische Original zum Vergleich hinzuziehen.

Fazit: Eine hübsche Idee, stimmungsvolle Elemente, ansprechende Figurenideen ? leider aber eine Autorin, der es nicht gelungen ist, ihren Bildern wirklich Leben einzuhauchen.

Sally Gardner stammt aus London und litt unter Dyslexie (Buchstabenblindheit). Ihr Umfeld hielt sie fälschlich für lernbehindert, weshalb sie Lesen und Schreiben erst mit 14 Jahren lernte. Sie studierte an der Kunstakademie und arbeitete als Illustratorin. »Ich, Coriander« ist ihr erster Roman

(zu sehen ist das Cover des englischen Buches von Orion Children’s Books, London)

Sally Gardner: Ich, Coriander. cbj 2006. 320 Seiten. 12,90 Euro (Hardcover)
Aus dem Englischen von Anne Braun.

Thema: Familie, Märchen, Historisches England (17. Jhdt)

  Momo Evers am 01.02.2006 | |
Phantastik