Gedichte

Sonntag, 21. Dezember 2008

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hermann Hesse)

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse

21. Dezember 2008 um 06:59 Uhr
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Sonntag, 19. Oktober 2008

Funeral Blues (Wystan Hugh Auden)

Funeral Blues
Wystan Hugh Auden (1907-1973)

Stop all the clocks, cut off the telephone,
Prevent the dog from barking with a juicy bone,
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come.

Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message He Is Dead,
Put crêpe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.

He was my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
thought that love would last for ever: I was wrong.

The stars are not wanted now; put out every one;
Pack up the moon and dismantle the sun;
Pour away the ocean and sweep up the wood;
For nothing now can ever come to any good

19. Oktober 2008 um 07:49 Uhr
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Freitag, 03. Oktober 2008

Leichenreden (Kurt Marti)

Leichenreden
(Leseprobe aus: Leichenreden von Kurt Marti, 2001, Verlag Nagel & Kimche)

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß gustav e. lips
durch einen verkehrsunfall starb

erstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideen

was soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallen

im namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:
wir protestieren gegen den tod von gustav e. lips

was kommt nach dem tod?
nach dem tod
kommen die rechnungen
für sarg begräbnis und grab

was kommt nach dem tod?
nach dem tod
kommen die wohnungssucher
und fragen ob die wohnung erhältlich

was kommt nach dem tod?
nach dem tod
kommen die grabsteingeschäfte
und bewerben sich um den auftrag

was kommt nach dem tod?
nach dem tod
kommt die lebensversicherung
und zahlt die versicherungssumme

was kommt nach dem tod?

03. Oktober 2008 um 07:21 Uhr
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Dienstag, 27. November 2007

Auf meines Kindes Tod (Das Kindlein spielt draußen)

Das Kindlein spielt’ draußen im Frühlingsschein,
Und freut’ sich und hatte so viel zu sehen,
Wie die Felder schimmern und die Ströme gehen -
Da sah der Abend durch die Bäume herein,
Der alle die schönen Bilder verwirrt.
Und wie es nun ringsum so stille wird,
Beginnt aus den Tälern ein heimlich Singen,
Als wollt’s mit Wehmut die Welt umschlingen,
Die Farben vergehn und die Erde wird blaß.
Voll Staunen fragt ‘s Kindlein: “Ach, was ist das?”
Und legt sich träumend ins säuselnde Gras;
Da rühren die Blumen ihm kühle ans Herz
Und lächelnd fühlt es so süßen Schmerz,
Und die Erde, die Mutter, so schön und bleich,
Küßt das Kindlein und läßt’s nicht los,
Zieht es herzinnig in ihren Schoß
Und bettet es drunten gar warm und weich,
Still unter Blumen und Moos. -


“Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?
In einem viel schöneren Garten bin ich,
Der ist so groß und weit und wunderbar,
Viel Blumen stehn dort von Golde klar,
Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen
Auf und nieder sich drauf und singen. -
Die kenn ich gar wohl aus der Frühlingszeit,
Wie sie zogen über Berge und Täler weit
Und mancher mich da aus dem Himmelblau rief,
Wenn ich drunten im Garten schlief. -
Und mitten zwischen den Blumen und Scheinen
Steht die schönste von allen Frauen,
Ein glänzend Kindlein an ihrer Brust. -
Ich kann nicht sprechen und auch nicht weinen,
Nur singen immer und wieder dann schauen
Still vor großer, seliger Lust.”


Joseph (Karl Benedikt) von Eichendorff (1788-1857), Auf meines Kindes Tod

27. November 2007 um 01:04 Uhr
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Auf den Tod meines Kindes



Eins


Freuden wollt’ ich dir bereiten,
zwischen Kämpfen, Lust und Schmerz
Wollt’ ich traulich dich geleiten
Durch das Leben himmelwärts.


Doch du hast’s allein gefunden.
Wo kein Vater führen kann,
durch die ernste, dunkle Stunde
Gingst du schuldlos mir voran.


Wie das Säuseln leiser Schwingen,
draußen über Tal und Kluft,
Ging zur selben Stund ein Singen
Ferne durch die stille Luft.


Und so fröhlich glänzt’ der Morgen
S war als ob das Singen sprach:
Jetzo lasset alle Sorgen,
Liebet ihr mich, so folgt mir nach!


Zwei


Ich führt’ dich oft spazieren
In Winter-Einsamkeit,
kein Laut ließ sich da spüren,
Du schöne, stille Zeit!


Lenz ist’s nun, Lerchen singen
Im Blauen über mir ,
Ich weine still sie bringen
Mir einen Gruß von dir.


Drei


Die Welt treibt fort ihr Wesen,
Die Leute kommen und gehen,
Als wärst du nie gewesen,
Als wäre nichts gescheh’n.


Wie sehn’ ich mich auf’s neue
Hinaus in Wald und Flur!
Ob ich mich gräm’, mich freue,
Du bleibst mir treu, Natur.


Da klagt vor tiefem sehnen
Schluchzend die Nachtigall,
Es schimmern rings von Tränen
Die Blumen überall.


Und über alle Gipfel
Und Blütentäler zieht
Durch stillen Waldes Wipfel
Ein heimlich Klagelied.


Da spür’ ich s recht im Herzen,
dass du’s, Herr, draußen bis
Du weiß‘s, wie mir von Schmerzen
Mein Herz zerrissen ist!


Vier


Von fern die Uhren schlagen,
Es ist schon tiefe Nacht,
Die Lampe brennt so düster,
Dein Bettlein ist gemacht.


Die Winde nur noch gehen
Wehklagend um das Haus,
Wir sitzen einsam drinnen
Und lauschen oft hinaus.


Es ist, als müsstest leise
Du klopfen an die Tür,
Du hätt’st dich nur verirret,
Und kämst nun müd’ zurück.


Wir armen, armen Toren!
Wir irren ja im Graus
Des Dunkels noch verloren ‘
Du fandest längst nach Haus.


Fünf


Dort ist so tiefer Schatten,
Du schläfst in guter Ruh,
Es deckt mit grünen Matten
Der liebe Gott dich zu.


Die alten Weiden neigen
Sich auf dein Bett herein,
Die Vöglein in den Zweigen
Sie singen treu dich ein.


Und wie in goldnen Träumen
Geht linder Frühlingswind
Rings in den stillen Bäumen
Schlaf wohl, mein süßes Kind!


Mein liebes Kind Ade!
Ich konnt’ Ade nicht sagen
Als sie dich fortgetragen,
vor tiefem, tiefem Weh.


Jetzt auf lichtgrünem Plan
Stehst du im Myrtenkranze
Und lächelst aus dem Glanze
Mich still voll Mitleid an.


Und Jahre nah’n und geh’n,
Wie bald bin ich verstorben
O bitt’ für mich da droben,
dass wir uns wiederseh’n!


Joseph (Karl Benedikt) von Eichendorff (1788-1857), Auf den Tod meines Kindes

27. November 2007 um 12:55 Uhr
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