Nicolas Michel: Emilies letzte Reise (Klett Cotta)

Kennen Sie diese kleinen Bücher, die lächeln machen? Wenn Sie jetzt sagen “Ja, Johannes zum Beispiel”, dann haben wir nicht den gleichen Geschmack. “Johannes” ist mir zu weichgespült und esoterisch. Ich liebe Bücher, die Geschichten erzählen und Autoren, die Geschichten erzählen können. Nicolas Michel (*1974) ist Franzose, auch wenn sein Name nicht so klingt. Und er kann Geschichten erzählen. Zumindest in diesem Buch: Emilies letzte Reise. Es handelt von hungrigen Makrelen, von Matrosen und Malern. Von jungen Obdachlosen, alten Frauen und Bankräubern. Und von Léo und Emilie, von einer großen Liebe und einem glücklichen Tod. “Sie konnte ihren Tod leben, wie sie ihr Leben geführt hatte”, so steht es auf Seite 11, und das sagt schon fast alles über diese Frau, der wir bis zum Ende des Buches nur als Leiche begegnen; die jeden, dessen Pfad sie kreuzt, verändert und die selbst im Tod noch glücklich machen kann. Emilies letzte Reise ist die ihres toten Körpers hinaus ins Meer. Wir folgen ihrem Weg in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge - von den Makrelen, die sich an ihrem Körper nähren, bis hin zu dem Ort, an dem sie starb - und erfahren erst dort den Grund ihres Todes.


Emilie ist ein melancholisches und leichtes Buch zugleich, fast schon ein klein wenig Literatur und vermutlich ein “Mädchenbuch”, ein Buch für Menschen, die Zwischentöne lieben, dunkle Herbsttage und “Unter dem Milchwald” von Dyan Thomas. Die Sprache ist assoziativ und manchmal, manchmal trifft sie nicht ganz; die Perspektiven wechseln oft und mit jedem Leben, das Emilies Körper streift. Es ist ein Buch über den Mut zur Veränderung, ein Buch vom Glück und ein Buch, das den Tod beschreibt wie einen Geliebten. Als ich es las - in einer klirrend kalten Winternacht im Dezember - hat es mir beim Lesen nicht nur Freude gemacht, sondern mich auch nach dem Ende der Lektüre noch eine Zeit lang verharren lassen - nachdenklich, mit einem Lächeln um die Lippen. Nicht vielen Büchern gelingt es, daß man, nachdem das letzte Wort gelesen ist, sie zärtlich schließt und sanft über sie streicht, ehe man sie fort stellt, noch einmal umkehrt und ihnen dann einen Ehrenplatz gibt - in der schlanken Reihe jener, die man von Herzen weiter empfehlen wird.


“Sie hat noch etwas Zeit vor sich. So wenig.
Er hat auch noch Zeit vor sich. Viel Zeit.”


So endet es - und macht vielleicht ein wenig Mut. Mut, zu leben.


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Nicolas Michel: Emilies letzte Reise. Klett Cotta 2003. 159 Seiten. 16 Euro (Hardcover)
Aus dem Französischen von Renate Nentwig.

Thema: Tod, Leben, Veränderung, Liebe

Momo Evers am 01.12.2007 um 17:08 Uhr
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