Geschichte des Christentums

Das Christentum
Von der Wiege bis zur Bahre

»Nun also erklären wir, sagen wir, setzen wir fest und verkündigen wir: Es ist zum Heile für jegliches menschlichen Wesen durchaus unerläßlich, dem römischen Papst unterworfen zu sein.«
Bonifaz VIII in der Bulle unam sanctam (Benedetto Gaetani; Papst 1294-1303)

Wie alles begann

Die Geschichte des Glaubens im Mittelalter des heutigen Europa ist vor allem eine Geschichte des Christentums, genauer: des Katholizismus.
Sie begann mit Jesus von Nazareth und seiner »frohen Botschaft« (griechisch: Evangelium) »Liebe Gott aus ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst« und endete nicht mit seiner Verurteilung als Gotteslästerer und Aufwiegler und seinem Tod am Kreuz im Alter von 33 Jahren. Die frohe Botschaft wurde, so sagt es die Geschichte, von seinen Jüngern weiter getragen. In der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts schließlich entstanden die vier Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes). Langsam verbreitete sich das Christentum (mit nicht geringem Blutzoll auf Seiten der Christen) entlang der römischen Handels- und Verkehrswege, nicht selten durch den Mund von Händlern und Soldaten; es wurde zunächst von »einfachen Leuten« und Angehörigen sozial benachteiligter Gruppen angenommen, denen die Lehre von Brüderlichkeit, Menschenwürde, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit imponierte.

Während seiner Ausbreitung mischten sich die Lehren des Christentums mehrfach mit den Glaubenswelten jener, die bekehrt wurden oder freiwillig konvertierten, so zum Beispiel mit dem Gedankengut der hellenistischen Philosophie (Gnosis). Um die Mitte des 2. Jahrhunderts gibt es Christen in Spanien, Frankreich, Südengland, Ägypten, Kleinasien, Nordafrika und am Schwarzen Meer aber auch in Armenien, Syrien oder Äthiopien. In den folgenden Jahrhunderten begannen sich (mit wachsender Anhängerzahl und einer daraus resultierend wachsenden »Verwaltung« des Glaubens) die Strukturen der Kirche zu verfestigen. Lehrbriefe und Synoden fällten Grundsatzentscheidungen, so etwa die Kirchenordnung des Hippolyt, die den Aufbau der Gemeinde und liturgische Fragen regelte. Aus einer ehedem einfachen Botschaft begann sich eine komplizierte Theologie zu entwickeln. Im Jahr 313 macht Kaiser Konstantin das Christentum zu einem vom Staat anerkannten Kult; unter seinem Nachfolger Theodosius dem Großen wird das Christentum 380 Staatsreligion, vermutlich aus dem Gedanken heraus, daß ein Volk, das unter einer einzigen Religion versammelt ist staatserhaltender und einheitsstiftender sein könnte als ein bunter Reigen verschiedenster Ansichten und Überzeugungen. Kritiker sahen diese gefährliche Nähe des Glaubens zum Staat mit Skepsis, und tatsächlich prägten das römische Recht und seine Verwaltungsstrukturen die Weiterentwicklung der Kirche entscheidend mit.

Christianisierung im heutigen Europa

Im 5. Jahrhundert wanderten Missionaren von Irland und Schottland aus durch Europa, während parallel das weströmische Reich - bedrängt durch Vandalen, West- und Ostgoten und Franken - zerfiel. Der Kirche kam in dieser Zeit der Unsicherheit und der Völkerwanderungen vermutlich eine ordnende Position zu, was ihren Einfluß verstärkt haben dürfte, sie aber auch von Anbeginn an zum begehrten Spielball politischer Interessen gemacht haben könnte. Eine der herausragenden Persönlichkeiten des 6. Jahrhunderts ist Benedikt von Nursia, »Flagschiff« der Benediktiner, der das Mönchtum entscheidend prägte. Gregor I. ? »der Große« ? hatte 590 den römischen Bischofsstuhl inne und legte mit seiner Politik (Konzentration des Besitzes um Rom, Zentralisierung der Verwaltung) den Grundstein für die spätere Entwicklung des Kirchenstaates. Unter Kaiser Justinian II. wurden auf der Synode in Konstantinopel über 100 Regeln für das kirchliche Leben beschlossen, die aber lateinische Bräuche weitgehend verwarfen. Als der Papst die vom Kaiser geforderte Zustimmung zu diesen Synodenbeschlüssen verweigerte, sollte er durch eine Entführung gefügig gemacht werden, die jedoch in letzter Minute vereitelt werden konnte. Es kam zum Bruch mit dem Osten (Byzanz), der daraufhin einen Gegenpapst ernannte.

Winfried Bonifatius erhielt im 8. Jahrhundert im (für diese Zeit überaus stolzen) Alter von 40 Jahren den Auftrag, Germanien zu missionieren (Ja, tatsächlich, von der Nordsee bis hin zu den Alpen). Sein Handlungsdrang schien grenzenlos: Er gründete etliche Bistümer - wie Fulda, Erfurt oder Würzburg), reformierte das Klosterwesen nach den Regeln des Benedikt von Nursia, sorgte für eine fundierte Ausbildung des Klerus, baute eine funktionierende Verwaltung mit Rom als Mittelpunkt auf - und wird 754 bei einer Tauffeier in Friesland erschlagen. Parallel zu Bonifatius’ Wirken war es Karl Martell 732 gelungen, das Abendland bei Tours und Poitiers gegen die vordringenden Araber zu verteidigen. Bonifatius selbst sowie Papst Stephan salbten Karls Nachfolger Pippin zum König, dieser wiederum bedankte sich angeblich mit der »konstantinischen Schenkung« (der »Verschenkung« des Vatikanstaates). Daß dieses Dokument eine Fälschung ist, war schon früh bekannt ? den Vatikanstaat gibt es noch heute.

Im 9. Jahrhundert schließlich schuf Karl der Große ein einheitliches europaweites Reich und wurde zum Weihnachtsfest des Jahres 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt. Mittels militärischer Eroberungen und teils (wie beispielsweise bei den Sachsen) brutalster Zwangsmissionierung »prügelte« er das Abendland einheitlich zum Christentum, bis er 814 in Aachen starb. Im Osten Europas entwickelten parallel zu Karls Christianisierungswelle die Mönche Methodius und Cyrill für die Slawen ein eigenes Alphabet, eine Liturgie und eine Bibel in eigener Sprache und führten diese so gleichfalls Rom und dem Papst zu.

Staat und Kirche, ein Kampf der Giganten

Auf Karls Tod folgte auch für die Kirche eine Zeit von politischer Gewalt, Intrigen, Verrat, Mord und Ämterkauf. Allein zwischen 882 (Papst Johannes VIII) und 1049 (Papst Leo IX), also in einem Zeitraum von nur 167 Jahren, gaben sich insgesamt 44 (!) Päpste auf dem Papstthron »das Kreuz in die Hand«. Die cluniazensische Reformbewegung stellte sich den Verfallserscheinungen entgegen, und auch die Ottonen im 10. Jahrhundert banden die Kirche in Deutschland konsequent in die staatlichen Herrschaftsstrukturen ein. Otto der Große (Kaiser seit 963) machte die Bischöfe zu Fürsten mit weitreichendem Einfluß und verlangte im Gegenzug entscheidendes Mitspracherecht bei ihrer Erhebung. Praktisch: Da die Bischöfe kinderlos sind, war der Titel nicht vererbbar und das Risiko für den Staat überschaubar. Zusehends versuchten weltliche Herrscher auch Einfluß auf die Ernennung des Papstes auszuüben, was Rom nicht gefiel, der Kirche aber durchaus den Rücken stärkte. Dennoch ? der Streit darum, wer in Kirche und Reich das Sagen hat und über die letztendliche Entscheidungsgewalt verfügt war im »Investiturstreit« stets gegenwärtig, und der Bußgang König Heinrichs IV. nach Canossa (und zu Füßen Papst Gregors VII.) im Jahr 1077 bildete zwar einen Höhepunkt aber noch lange nicht das Ende der Auseinandersetzungen. Gegenseitige Absetzungen, Bannsprüche und militärisch ausgefochtene Machtkämpfe zwischen der königlichen und der päpstlichen Partei blieben bis zum Wormser Konkordat 1122 mehr Regel als Ausnahme.

Auch der Kampf mit Byzanz (dem heutigen Konstantinopel) kam nicht zum Erliegen. Der Unmut des dortigen Patriarchen (der sich im Kampf gegen die Sarazenen von Rom verraten fühlte) führte über harte theologische Auseinandersetzungen letzten Endes zum großen Kirchenschisma (Schisma: Spaltung) von 1054. Die römisch-katholische Westkirche und die orthodoxe Ostkirche teilten sich.

Kampf um Jerusalem

Ab dem 12. Jahrhundert war der Kirche (und vielen Menschen an ihrer Seite) vor allem an einem gelegen: Den Islam und die arabische Expansion (die sich bereits von Arabien über Nordafrika nach Spanien und Indien erstreckte) von der Eroberung Israels abzuhalten ? und somit das »Heilige Land« (und mit ihm Jerusalem) zu »retten«. 1119 gründeten französische Ritter zum Schutz der Pilger im Heiligen Land den Orden der Templer. König Alfons I. von Arragon gelang es, den Muslimen einen Teil Spaniens wieder zu entreißen, und in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann die Zeit der Kreuzzüge ? unterstützt durch die flammenden Reden des Zisterziensermönchs Bernhard von Clairveaux, die den deutschen und französischen König und die Ritterschaften Europas mobilisierten. Trotzdem kochte der Konflikt zwischen Kaiser und Papst weiter. Der Stauferkönig Friedrich I. (Barbarossa) wurde zweimal gebannt, sein Sohn hingerichtet, das Herrschergeschlecht ging unter und mit ihm für lange Jahre der Einfluß des heutigen Deutschlands auf die Geschehnisse der mittelalterlichen Weltpolitik.

Die Sarazenen eroberten 1187 Jerusalem; Saladin schlug das christliche Heer vernichtend. Päpste und bischöfliche Fürsten widmeten sich zusehends der Politik, während der christliche Glaube nun in neuer Form zum Leben erwachte. Der wohl vehementeste Vertreter der neuen Strömung der Bettelorden waren Franz von Assisi und seine »Seelenverwandte« Klara. An anderer Stelle führten in Südfrankreich eine kirchliche und staatliche Interessengemeinschaft einen grausamen Krieg gegen die Albigenser und rotteten diesen Bettelorden nahezu aus.

Das 13. Jahrhundert brachte Theologen wie Thomas von Aquin (? 1274), Bonaventura (? 1274) oder Albertus Magnus (? 1280) hervor. Neue Ideen stellten alte Regeln in Frage, die Geißler (lat: Flagellanten) zogen singend, betend und sich auf den nackten Oberkörper schlagend durch das Land (um so verzückt am Leiden Jesu teilzuhaben und die Welt zu erlösen), ein Haufen Kinder brach voller Hoffnung gen Jerusalem auf (Kinderkreuzzug) um es zu befreien und erreichte es nie. Der nach Joachim von Fiore benannte »Joachimismus« ? das Warten auf den Weltuntergang ? fand rund 50 Jahre nach dem Tod Joachims seinen Höhepunkt.

Die Kirche reagierte mit dem Verbot neuer Ordensgründungen, der Gründung der Inquisition und einer zunehmend härteren Gangart in der Bestrafung von allem, was sie bedrohte. Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg oder Dante schrieben zu dieser Zeit ihre Werke.
Nachdem Jerusalem von Kreuzfahrern zwischenzeitlich zurückerobert werden konnte, wurde es 1244 endgültig von den Muslimen besetzt, und rund 50 Jahre später konnte das gesamte Kreuzzugsunternehmen mit dem Fall der Hafenstadt Akko 1291 und der Vertreibung der letzen Kreuzritter als gescheitert angesehen werden.

Bildung und Humanismus

Die ersten zaghaften Fanfarenklänge des Humanismus wurden begleitet vom wortwörtlichen Verfall des Papsttums. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts geraten diese unter den Einfluß Frankreichs und verlegen ihren »Regierungssitz« nach 1309 (bis 1377) Avignon. Als Papst Gregor XI schließlich nach Rom zurückkehrte, setzte Frankreich einen Gegenpapst ein; diesmal dauerte das Kirchenschisma bis zum Jahr 1415. Derweil zogen Bußprediger durch das Heilige Römische Reich, und Gläubige auf Bußwallfahrten über große Teile des Kontinents. Auch die Templer fanden in diesem Jahrhundert ihr Ende ? von Frankreich ausgelöscht und ihrer Schätze beraubt, vom Papst 1312 aufgelöst. Die zentrale Rolle Roms wurde immer wieder hinterfragt, Konziliarismus (das Konzil ist die oberste Autorität der Kirche und dem Papst übergeordnet) und Gallikanismus (Forderung nationaler Staatskirchen) waren Schlagwörter der kirchlichen Disputationen. Durch das schwache Papsttum gestärkt wurde mit Ludwig 1328 erstmalig ein Kaiser in Abwesenheit eines Papstes gekrönt.
Spätestens mit der Goldenen Bulle von 1356 stand fest, daß der König fortan von Sieben Kurfürsten gewählt werden würde und der Papst hierzu nicht mehr »erforderlich« sei. Der Aufstieg der Städte und der Universitäten führte im Abendland zu einer Wiederentdeckung der Wissenschaften des Altertums und der Aufschwung von Kunst, Forschung und Bildung, die Entdeckung des Buchdrucks durch Gutenberg und Amerikas durch Kolumbus wiederum in Summe zum »Befreiungsschlag« des Humanismus. Gleichzeitig aber wütete in Spanien die Inquisition gegen Mauren, Juden, Katharer und Waldenser. 1483 erblickte Martin Luther das Licht der Welt, 1484 folgte ihm Zwingli. Die Päpste in Rom fanden ihr Hauptbetätigungsfeld zu dieser Zeit in Kunst und Architektur.
Im 16. Jahrhundert gebären Reden Martin Luthers den Funken der Reformation, auf dem Papstthron räkelte sich genüßlich ein Vertreter der Familie Medici und nippte an seinem goldenen Pokal, Luthers Übersetzung der Bibel ins Deutsche erlaubte den meisten Gläubigen erstmals einen eigenen Einblick in die Quellen ihres Glaubens und machte sie kritischer und unabhängiger ? und auf dem Konzil zu Trient 1545-1563 gab sich die katholische Kirche einmal mehr einer Selbstreformation hin.

Der Rest ist Geschichte ? der Neuzeit.

aus: Behr, Falk und Evers, Momo: Ritter, Hexen, Scharlatane, G&S Verlag 2005