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aus: Nautilus Abenteuer & Phantastik, Nummer 23 (Mai bis August 2004)
Phantastische Buch-Highlights im zweiten Quartal 2004
Kino im Kopf
Eine Auswahl aus aktuellen und kommenden Büchern
Ferien oder Urlaubsreise stehen vor der Tür, und im Regal findet sich nichts, das unterhaltsame Stunden versprechen will? Kein Problem: Nichts wie die NAUTILUS geschnappt und auf zum Buchhändler des Vertrauens. Zugegeben - im Sommerloch zwischen Frühjahrs- und Herbstprogramm tut sich nicht so viel im Verlagssektor. Taschenbuchversionen bereits erschienener Hardcover und viele Neuauflagen wohin man blickt. Viele »Kracher« hebt man sich für Buchmesse und Weihnachtsgeschäft auf. Trotzdem gibt es für den bibliophilen Phantastik-Liebhaber noch den ein oder anderen phantastischen Buchschatz zu heben.
Reihen
Bereits im Mai erschien R. A. Salvatores Die Invasion der Orks (Blanvalet). Der Dunkelelf Drizzt Do’Urden wird in einem Kampf gegen - wer hätte es gedacht? - Orks literarisch wiederbelebt.
Im Juni entführen uns David und seine Frau Leigh Eddings mit Das wilde Land nach Dhrall, mit dem die Reihe »Götterkinder« ihren Anfang nimmt - und von diesen handelt auch die Geschichte. Das Ödland inmitten Dhralls wird von dem machtgierigen Vlagh besetzt gehalten, der sich dort Dämonen züchtet. Die Götter von Dhrall würden dies gern unterbinden, doch es ist ihnen verboten, zu töten. Doch Dhrall ist nicht verloren - da gibt es noch diese vier ganz besonderen Kinder mit ihren geheimnisvollen Kräften.
Der Juli erfreut Fans von Mark Anthony mit einer Fortsetzung der Runen-Geschichten um Grace und Travis zwischen der magischen Welt Eldh und unserer Erde. In Der Runenbrecher (Droemer/Knaur) geht es mit großen Schritten auf das Finale zu, und so ist auch das Ende lieb gewonnener Charaktere zu beklagen. Dank einer guten Zusammenfassung zu Beginn des Buches auch für Leser, bei denen der letzte Buch der Reihe länger zurückliegt, zu empfehlen. Einsteiger sollten mit dem ersten Band Das Ruinentor beginnen.
Ebenfalls im Juli erscheint der zweite Band von Markolf Hoffmanns Trilogie Das Zeitalter der Wandlungen unter dem Namen Flammenbucht (Heyne). Hoffmanns Erstling Nebelriss wusste sprachlich zu überzeugen, hatte aber gerade zu Anfang einige Längen im polit-lastigen Plot. Auch die Charaktere zeichneten sich - wenngleich interessant und gut gezeichnet - nicht gerade als Sympathieträger aus, was nicht jedem gefällt. Ob man Hoffmanns Stil mag oder nicht, zeigt sich schnell. Daher - ein deutscher Autor, in den hineinzulesen sich lohnt.
Wer ihn kennt, der liebt ihn; Thrarax, den Meisterdetektiv von Turai. Seine heraus stechenden Charaktermerkmale: nicht mehr jung, übergewichtig, verfressen, ständig betrunken, verfügt über ein Heer von Feinden dem er beständig neue hinzufügt. Im August bricht mit Orks ante portas (Blanvalet) inmitten von Thrarax’ Lieblingstaverne wieder einmal ein Fall über den Ermittler wider Willen herein. Diesmal gilt es, den Mord an einem Mitglied des Kriegsrates aufzuklären. Als Veteran der Ork-Kriege und gescheiterter Zauberer, der zumindest eine Hand voll (nicht sonderlich mächtiger) Zaubersprüche beherrscht, ist Thrarax genau der richtige Mann. Originelle, intelligente und witzige Fantasy für Liebhaber von Terry Pratchetts Scheibenwelt oder Steven Brusts Meisterdetektiv.
Im September ist es endlich so weit: Der letzte Teil der Trilogie um die »Wasserwanderer« - das Piratenmädchen Jolly und ihren Freund Munk - kommt in den Buchhandel. Kai Meyer und Alexander Nix verzauberten bereits mit Die Wellenkäufer und Die Muschelmagier. Die Wasserweber (alle Loewe) ist nun einmal mehr ein bestechend schönes Stück Jugendbuch-Literatur, dem gewiss nicht nur Leser »ab 12 Jahren« schon lange entgegenfiebern.
Auch Harald Evers’ Höhlenwelt-Saga geht im Juni mit Die Mauern des Schweigens (Heyne) in die sechste Runde.
Einzeltitel
Im Juli erscheint mit 806 Seiten ein dickes Stück Ted Williams mit dem Namen Der Blumenkrieg (Klett Cotta). Als Sänger einer unbekannten Rockband lebt Theo ein beschauliches Leben. Dann erscheinen ein Horrorwesen - und eine kleine Elfe. Applecore (so der Name der Elfe) bringt Theo in die Märchenwelt Faerie, einem verzerrten Abbild seiner Realität, wo sich skurriles mit ekel- und zauberhaftem mischt. Die Idee ist nicht neu, der Plot weist einige Längen auf, aber das Buch ist dennoch recht unterhaltsam.
Ebenfalls im Juli kommt mit John Moores Der Froschprinz (Heyne) ein humoristisches Schmankerl in die Buchläden. Nach langem Küssen findet die Dorfschöne Catherine endlich den einen Frosch, der sich in einen Prinzen verwandelt. Dummerweise ist dieser weder hübsch noch der Thronanwärter. Dennoch wird ihr gemeinsames Leben überaus turbulent.
Ein ganz und gar bezauberndes Stück Buch beschert uns Peter David im August. Es trägt den klingenden Namen Herr Apropos von Nichten (Lübbe) und erzählt die Geschichte eines Schufts - »faul in den Beinen doch fix im Geiste«. Ein klassisches Stück Schelmenliteratur, das bekannte Fantasy-Erzählmuster parodiert und variiert - und doch wieder nicht. In diesem Buch gibt es nicht nur einen verrückt gewordenen Phönix, ein mörderisches Einhorn, mutierte Harpyen und eine - vermutlich - psychotische Prinzessin. Das Leben des Anti-Helden Sir Apropos am Rande der Gesellschaft und der Weg, den das Schicksal ihm zu gehen vorbestimmt hat, erinnert in seiner zeitweiligen Düsternis und Verderbtheit an das Paris eines Jean Baptiste Grenouhile (Das Parfum). Zwischen bizarr und lustig, traurig und dramatisch schwankt, wer Apropos’ Wegen folgt. Vor allem aber gelingt es Peter Davis (der sich seine Sporen etwa mit Star Trek-Romanen oder Comic-Texten verdiente) immer wieder, dem Plot mit bissigem Humor und viel Gespür für seine Charaktere eine unerwartete Wendung zu verschaffen. Auch das Finale des Schicksals des Herren Apropos ist ein Kapitel für sich - und wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Humor ist eine Sache - Parodie eine andere. Mit Parodien lässt sich immer wieder ein guter Rubel verdienen. Barry Trotter, die Verhohnepipelung des Hogwart’schen Zaubererlehrlings der Dame Rowling, erlebt Fortsetzung um Fortsetzung, und so darf auch wieder mal eine erneute Veralberung Tolkiens nicht fehlen. Dieses Mal trifft es den Kleinen Hobbit. Der kleine Hobbnix (Heyne) von A.R.R.R Roberts (Ein Schelm, wer da an ein Pseudonym denkt) erscheint im Juni und erzählt die Geschichte des Hobbnix Bingo Beutelsack, der eigentlich ein geruhsames Leben in seinem Erdloch führen will, bis eines Tages ein etwas verwirrter Zauberer an seine Tür klopft. Dieser ist allerdings altersschwach und noch dazu fast taub. Der Hobbnix hingegen ist fußkrank. Und die Zwerge eine Comedy-Truppe par excellance. Für derlei Humor muss man eine Ader haben. Hat man sie nicht, lässt man lieber die Finger davon und liest statt dessen Bücher »für Freunde der Hobbits«. Zum Beispiel Matt Ruffs Fool on the Hill - zwar alt, aber zwingender Bestandteil eines jeden Bücherschranks, dem sich ein Fan der phantastischen Literatur auch nur auf zehn Schritt nähert. Im August erscheint Ruffs von seinen Fans heiß erwartetes neues Buch Ich und die anderen (Hanser). Es geht um multiple Persönlichkeitsstörung (MPD), und die Geschichte vereint Thriller, Krimi, Lovestory und Komödie. Mehrere MPD-Patienten kämpfen im wahrsten Sinne des Wortes um ihren Verstand - ein fesselndes, ein lesenswertes Buch, sicherlich. Aber keine Fantasy. Wer also »Ruff auf Abwegen« nicht folgen möchte, kann sich eine diesbezügliche Enttäuschung ersparen.
Im August gibt es altes Neues von Horror-Spezialist Brian Lumley: Titus Crow (Festa). Das übernatürliche Ermittlerpaar Titus Crow und Henri-Laurent de Marginy kämpft gegen Cthulhu und die Großen Alten. Lovecraft lässt grüßen.
Im selben Monat erscheint mit Die vergessenen Götter ein Roman von Anette Schaumlöffel (Blanvalet). Ariane, eine junge Kölner Assistentin, macht mal wieder eine verheißungsvolle Männerbekanntschaft. Diese entpuppt sich als der in die Jahre gekommene Gott Odin - eine nette Plotidee.
Serien
Im Juni erscheint mit Ruinen der Macht von Robert E. Vardeman (Heyne) eine neue Geschichte im Rahmen der Mechwarrior Dark Age.
Während die Rhianna-Bücher der DSA-Reihe durch Umverteilungen demnächst bei Piper erscheinen, wird die Reihe der »normalen« DSA-Romane bei FanPro fortgeführt. Hier erscheint im August Rabengeflüster, ein Roman von Alexander Wichert, Anja Jäcke und Heike Wolf. Die drei Autoren arbeiteten bereits während der Erstellung der DSA-Spielhilfe Meridiana zusammen, wo ihnen die Idee eines gemeinsamen Romans kam. Das Thema ist insofern für DSA-Fans nicht schwer zu erraten: Es geht um den Boron-Glauben, und zwar den al’anfanischen.
Mit Wiedergänger folgt kurz darauf ein neuer Shadowrun-Roman der handwerklich starken und erzählerisch überzeugenden Maike Hallmann, der vom Conquistadores-Team und dem Kampf von Jaywalker gegen den Magier Sakata erzählt.
Mit Gigantenkrieger von William King (Heyne) wird auch die Warhammer-Serie im Juni fortgeführt: der Zwergenkrieger Gortrek und sein menschlicher Gefährte Felix streiten zum siebten Mal gemeinsam gegen finstere Übeltäter.
Neuauflagen, Taschenbücher
Otherland (Klett Cotta) - vier dicke Bände im Hardcover und daher zu teuer? Bald nicht mehr. Im September erscheinen alle vier Bände im Taschenbuch für »schlappe« 59,90 ?.
Im Verlag von FanPro, dem Mutterhaus des Rollenspiels Das Schwarze Auge, erscheint sukzessive die liebevoll gestaltete und limitierte Werkausgabe von George R. R. Martin. Der zweite Teil des legendären Lied von Eis und Feuer erscheint im August mit herausnehmbarer Landkarte und edler Aufmachung. Wer ein wahrer Martin-Jünger ist, auf den wartet die handsignierte DeLuxe-Edition.
Sehr alt, sehr lesenswert: Der König auf Camelot von Terence H. White ist ein Klassiker der Phantastik und eine bezaubernde Interpretation der Merlin- und Artus-Geschichte. Im Juli erscheint eine Gesamtausgabe in Neuauflage im Taschenbuch bei Klett-Cotta. Liebe, Intrigen, die Suche nach dem heiligen Gral und die Zerschlagung von Artus’ Königreich - wer es noch nicht kennt, schlägt zu.
Auch Magus Magellans Gezeitenwelt (Piper, siehe NAUTILUS 22) gibt es ab Juni im Taschenbuch - Der Wahrträumer von Bernhard Hennen macht den Anfang. Eine gute Gelegenheit, einzusteigen - denn im Oktober geht es weiter mit Gezeitenwelt Nummer 5 und dem Debut von Karl-Heinz-Witzko: Traumbeben.
Wer Terry Pratchett schätzt, mag oft auch Robert Asprin. Seine »Dämonengeschichten« um den jungen Zauberlehrling Skeeve erscheinen derzeit in diversen Sammelbänden. Den Anfang macht im Juli Dämonenhatz (Bastei Luebbe), der die Romane Ein Dämon zuviel, Drachenfutter und Ein Dämon auf Abwegen enthält.
Anthologien
Bereits im März erschien Das große Buch der Feen und Elfen (Knaur). Andreas Gößling hat 49 Geschichten rund um die Anderswesen zusammengetragen, und die Illustrationen von Friedrich Hechelmann machen die Sammlung zu einem stimmungsvollen Ganzen. Gößling unterteilt seine Sammlung in die Untergruppen Besucher in Elfenwelten, Ehen mit Feen, Elfen-Eros, Menschenkinder und Wechselbälger, Schatz- und Schutzfeen sowie Elfenzorn und Feenbann. Eine Reise für »Erwachsene« auf den Spuren der Sagen und Märchen von Schottland über die Bretagne, von Skandinavien nach Griechenland bis in den Orient.
Bleibt mir nur noch, auf die besonderen Empfehlungen in beistehenden Kästen zu verweisen und die Werbetrommel für das Herbstprogramm zu rühren. Dort erwarten uns etwa der Abschluss von Sara Douglas’ Unter dem Weltenbaum-Chronik, das Fantasy-Debut einer jungen, deutschen Gräfin, ein neuer Roman von Elfenfeuer-Autorin Monika Felten (mit Soundtrack zum Buch) oder eine Neuauflage von Gene Wolfes Das Buch der Neuen Sonnen.
Bis dahin: Viel Spaß beim Schmökern!
Momo Evers
- Kurzrezensionen für eilige Leser -
Suchtfaktor garantiert
Bartimäus
Mitreißend, hinreißend, phantastisch
Mit Das Amulett von Samarkand (cbj/Bertelsmann) wagt sich dieser Tage der erste Teil einer neuen Trilogie auf den deutschen Markt. Ihr Name: Bartimäus. Ihr Autor: Jonathan Stroud. Seine Protagonisten: Ein Junge (Nathanael, Zaubererschüler mit faust’schen Zügen, im zarten Alter von fünf von seinen Eltern an die Regierung verkauft) und ein Dämon (Bartimäus, seines Zeichens einfallsreicher Dschinn und Ich-Erzähler mit herzerfrischendem Selbstbewusstsein). ***FUßNOTE: Seine liebenswerte Eigenart: Fußnoten. Denn Dämonen haben nicht nur eine Menge Esprit, sie haben auch Vieles zu erklären. Und das tun sie mit einem umwerfenden Sinn für Komik.*** Abwechselnd, natürlich. Strouds Sprache: pointiert, witzig, fesselnd, vielschichtig. Über die Freude am Fabulieren hinaus sogar kritisch, doch nie belehrend. Ort der Handlung: London in einer düsteren Zukunft, in der das britische Parlament von Zauberern beherrscht wird. Der Plot: Ein Junge stellt sich zwischen die Fronten machtgieriger Zauberer. Er beschwört einen Dämon, der ihm helfen soll - und ehe dieser es sich versieht, ist der 5000 Jahre alte Dschinn selbst gefangen in magischen Intrigen, Mord und Rebellion.
Bartimäus erscheint im Jugendbuch - und in der Jugendbuchabteilung würden es nur jene Leser suchen, die Harry Potter 4 dort richtig aufgehoben fanden. Denn Bartimäus ist auch ein Buch für Erwachsene, ein Buch für Liebhaber virtuoser Geschichten - und wird (vom Cover, das allzu kindlich daher kommt und weder Buch noch Bartimäus gerecht wird, einmal abgesehen) selbst jenen gefallen, die sich sonst eher weniger für Fantasy erwärmen können.
Genauso wie Harry Potter? - Vom Begeisterungsfaktor: Ja. Ansonsten: Nein. Es führt kein Weg daran vorbei: Bartimäus wird mit Rowlings Zauberschule verglichen werden. Ebenso, wie jeder annähernd nach Fantasy riechende Roman mit Tolkien verglichen wird.
Unvermeidbare Anschuldigungen vorweggenommen: Bartimäus ist kein Potter-Verschnitt. Weder ein besserer noch ein schlechterer.
Es ist »einfach nur« ein gutes Buch.
Mit viel Freude am Fabulieren geschrieben. Seit langer Zeit wieder einmal etwas, das sich wohltuend abhebt. Das Rezensenten fast ihre Abgabetermine verpassen lässt. Denn kaum hat man es für kurze Zeit aus der Hand gelegt, ist es bereits von Dritten aus Familie oder Freundeskreis entführt worden. Widerfinden tut man es leicht: Irgendwo kichert ein Leser und liest einem Dritten Passagen vor. Zum Beispiel eine von Bartimäus’ hinreißenden Fußnoten:
»Der Unbeschränkte Bannzauber ist echt eklig und eins der stärksten Druckmittel, die einem Zauberer zur Verfügung stehen. Wenn man Pech hat, ist man jahrhundertelang in einem furchtbar engen Behälter eingesperrt, der womöglich auch noch ausgesprochen peinlich ist. Streichholzschachteln, Flaschen, Handtaschen ? ich kannte sogar mal einen Dschinn, der in einer dreckigen Lampe festsaß.«
Das Problem ist: einmal gefunden, weigert sich der Bücherdieb standhaft, seine Beute wieder herauszurücken: »Nur noch ganz kurz, ich les auch ganz schnell ?«
Sogar die Filmrechte sind schon verkauft - sie liegen bei Miramax. Allerdings: Wer klug ist, wartet nicht so lang. Bartimäus bietet auch ohne Special Effect-Etat 540 Seiten reinstes Vergnügen mit liebevollen Charakteren und großer Szenendichte und sollte daher in keinem Fall angelesen werden, wenn man nicht binnen Kürze die Zeit findet, es in Gänze zu verschlingen.
© Momo Evers
Jugendbuch-Tipp
Merlin-Autor Barron mit neuem Kinderbuch
Der Amerikaner T.A. Barron, vielen bekannt als Verfasser der Merlin-Saga (seit Kurzem gesamt im Schuber für 36 Euro), wird mit Das Baumkind (dtv junior, 143 Seiten) nicht nur Jugendliche verzaubern. Die einfühlsame Geschichte der neunjährigen Rowanna, die mit dem alten Fischer Mellwyn ganz allein in einer Hütte im Nirgendwo lebt, kommt ohne viel Pomp aus. Liebevoll beschreibt Barron die Suche Rowannas nach einem Freund - und entführt den Leser in eine Welt, in der die verwunschene Natur selbst der größte Protagonist ist. Obwohl der alte Fischer Rowanna eindringlich vor der Macht der unberechenbaren Baumgeister warnt, fühlt das Mädchen sich von dem verbotenen Wald wie magisch angezogen. Als sie dort auf Sash trifft, entfernt sie sich immer weiter von dem Fischer. Und dieser - unfähig, dem Mädchen ein Freund zu sein - kämpft um sie. Und verliert. Denn als Rowanna ein letztes Mal aus freien Stücken zu ihm zurückkehrt, lüftet er dem Mädchen endlich das Geheimnis seiner Herkunft.
Ein poetisches, ein philosophisches, ein leises und dennoch bezauberndes Buch mit einer Heldin, die nicht nur Kinder in ihr Herz schließen werden.
Jeder Jugendliche und jeder Junggebliebene, der das Phantastische in seiner Reinbedeutung liebt und sich nach dem Zauber hinter den Schleiern der Wirklichkeit sehnt, sollte Das Baumkind lesen. Oder es geschenkt bekommen.
© Momo Evers
Fantasy-Zyklen unter der Lupe
Düsterer Ruhm
Fantasy-begeisterte Leser wissen es: Die Eckpunkte einer Serie zusammengefasst weisen alle eine gewisse Ähnlichkeit auf. So ist es auch bei Stackpoles Serie Düsterer Ruhm (Heyne). Letzten Endes aber entscheiden auch Schreibstil, Plotführung, Charaktere und Flair einer Welt darüber, ob eine Serie abgeschmackt oder ein Fest für den Leser ist. Und in all diesen Punkten weiß Stackpoles Erzählung im Stil der Military-Fantasy zu punkten.
Das 15-jährige Stadtkind Will möchte ein Meisterdieb werden - und somit König der Düsterdünen. Doch der Diebstahl, mit dem er sich einen Namen machen will, schlägt fehl. Auf der Flucht läuft er dem Vorqælf Entschlossen und dem Menschen Kräh in die Arme - der Anfang einer Reise durch Wildnis und Abenteuer, in dem die Gefährten die dunkle Zauberfürstin Kytrin zu stürzen trachten. Eine alte Prophezeiung weist Will eine besondere Rolle dabei zu. Will ist unzufrieden - er wollte Ruhm für sich, und nicht Ruhm für andere. Mit der Zeit stellt er sich seiner Aufgabe, und auch andere schließen sich dem Bündnis wider Kytrin an, so etwa Prinzessin Alyx, die als Kriegerin ihre Heimat zurückerobern soll oder der junge Magiker Kjarrigan, der außerhalb seines Turmes zunächst etwas lebensunfähig ist.
Michael A. Stackpole (*1957 in Wisconsin, Historiker, seit 1977 Autor etlicher Science Fiction und Fantasy-Titel und Rollenspielentwickler) lässt auch seine bösen Charaktere nicht zu »Metzelmonstern« verkommen. Die Reihe weiß mit Spannung zu überzeugen und Cliffhanger geschickt einzusetzen. Die Welt von Düsterer Ruhm ist so dunkel, wie ihr Name vermuten lässt, und Freunde von märchen- und feenhafter Fantasy werden hier enttäuscht. Wer aber wohl dosierte Kämpfe, sterbliche Charaktere und eine etwas härtere Gangart in der Erzählung schätzt, der wird Stackpoles Reihe verschlingen - und ihn vielleicht sogar schon als Autor etlicher Battletech-Romane zu schätzen wissen.
Der große Kreuzzug (Band 6 der Reihe) erschien im Mai, Die Macht der Drachenkrone (Band 7 und somit der Abschluss der Reihe) folgt im Juli. Neueinsteiger aber arbeiten sich von vorn durch die bereits erschienenen Titel: Zu den Waffen (1), König der Düsterdünen (2), Festung Draconis (3), Blutgericht (4), Drachenzorn (5).
© Momo Evers
Sieben
Neuauflage eines Klassikers
Nebel, Kutschen, dunkler Gestalten: London, Weihnachten 1884. Ein geheimnisumwobener Fremder lädt den vereinsamten Arzt und Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle (ja, genau: den Erfinder von Sherlock Holmes) zu einer Séance ein - und Doyle nimmt an. Was ruhig und beschaulich beginnt, entwickelt sich in rasanter Geschwindigkeit zu einem kriminalistischen Albtraum mit lebenden Mumien und der dunklen Bruderschaft als teuflischem Widersacher. Wenn es wirklich so gewesen wäre, müssten sich Holmes-Fans nicht mehr wundern, woher Doyle seine Ideen nahm.
Mark Frost (unter anderem als Co-Autor von David Lynchs Twin Peaks bekannt) mixt reale (wie Bram Stoker) und fiktive Personen nicht mit dem kritischen Blick des Historikers, wohl aber mit dem launigen Blick des Literaten in einen Topf, vermengt sie mit viktorianischer Atmosphäre, Verschwörung, Mord, Horror, Okkultismus, technischer Hybris und einer zusätzlichen gehörigen Prise Düsternis zu einer spannenden, nachtraubenden Lektüre. Das besondere Quentchen literarischer Düsternis bringt Jack Sparks in die Handlung, der - ohne zu viel verraten zu wollen und trotz aller charakterlichen Abgründe der Figur - besonders Holmes-Fans das Herz aufgehen lassen wird. Dem Ende fehlt es ein klein wenig an Brillianz, doch der Rest des historischen Krimi-Horror-Feuerwerks macht diese Schwäche locker wett.
Eine Neuauflage des 510 Seiten-Schmankerls erscheint im Juli 2004 bei Heyne. Auftrag: Lesen!
© Momo Evers