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aus: Nautilus Abenteuer & Phantastik, Nummer 25/2005
Phantastische Buch-Highlights im ersten Quartal 2005
Kino im Kopf
Eine Auswahl aus aktuellen und kommenden Büchern
Willkommen im Andersen-Jahr, dem Jahr des Mannes, der die wohl schönsten und anrührensten Märchen geschrieben hat, die es in deutschen Buchhandlungen zu finden gibt. Um ihn zu ehren, gibt es über das Jahr verteilt etliche Neuauflagen seines Werkes bei den unterschiedlichsten Verlagen. Wessen alte Kinderausgabe allzu abgegriffen ist oder wer am Ende gar keine solche mehr besitzt, der sollte seine Augen offen halten und sich eine der Prachtausgaben von Hans-Christian Andersens Texten sichern. Viele dieser Sonderausgaben erscheinen erst gegen Jahresende (zu Weihnachten nämlich, wo Märchenbücher bekanntermaßen immer Hochkonjunktur haben und sich auch als Geschenk hervorragend eignen), doch einige können bereits auf der Leipziger Buchmesse Mitte März bewundert werden, die ? aber das nur anbei ? in diesem Jahr auch ihren ersten eigenen Literaturpreis verleiht und einmal mehr einen großen Schwerpunkt auf Comics und Manga setzt.
Ansonsten gibt es derzeit vor allem Reihentitel wohin das Auge blickt ? kein Wunder, denn ist ein Autor, ist ein Cover oder Titel einmal gut eingeführt, will man auch länger etwas davon haben. Und so erfreut sich die Reihe bei den Programmplanern der Verlage noch immer stetig wachsender Beliebtheit.
Reihen
Wunderbar und märchenschön und fast schon ein wenig philosophisch geht es schon seit Ende des vergangenen Jahres in Die Kinder des Dschinn zu. Mit Das Akhenaten-Abenteuer (Oetinger) hat der Schotte Philip Kerr eine Geschichte aus Tausend und einer Nacht geschaffen. Als den Zwillingen John und Philippa die Weisheitszähne entfernt werden, stellen sie fest, dass sie gar keine »ganz normalen Jugendlichen« sind sondern waschechte Dschinne. Über London nach Ägypten bis zum Nordpol geht ihre Reise im Kampf gegen die Ifrit und auf der Suche nah den anderen Dschinnen, die schon seit langer Zeit verschwunden sind. Nicht nur von der Aufmachung her ein Jugendbuchtitel, der begeistert.
Ein Jubelmonat für Fans von Michael A. Stackpole ist der Februar, denn dann erscheint mit Das verlorene Land (Heyne) der Auftakt zu einer neuen phantastischen Reihe voller Abenteuer, Magie und großer Schlachten. Am Anfang eines neuen Zeitalters ist es an den Helden, die Geschicke der Welt fortan zum Guten zu wenden.
Weiter geht es auch mit den Abenteuern des draufgängerischen Detektivs Vlad Taltos. In Athyra (Klett Cotta) erzählt Steven Brust einmal mehr mit Humor und Fabulierlust von dem ehemaligen Berufskiller, Draufgänger und Messerhelden. Dieses Mal legt er sich mit einem untoten Zauberer und seinen Schergen an.
Gleichfalls im Februar beschert uns cbj Teil 3 (Im Bann der Elfen) und 4 (Der eiserne Baum) der ganz und gar reizenden Spiderwick-Chronicles (1: Eine unglaubliche Entdeckung, 2: Gefährliche Suche). Jared, Simon und Mallory stoßen in einem alten Haus auf »Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum« ? und es dauert nicht lange, bis sie mit dieser auch Bekanntschaft schließen. Leider gestalten sich die Begegnungen gefährlicher als erhofft? Die liebevoll aufgemachte Kinderbuchreihe von Tony diTerlizzi (der für die lebendigen Zeichnungen verantwortlich ist) und Holly Black ist auch für »ausgewachsene« Leser ein »kleiner Leckerbissen für Zwischendurch«.
Und das ist noch nicht alles, denn mit Wolfsbruder (auch cbj) startet (gleichfalls im Februar) die Chronik der dunklen Wälder von Michelle Paver. Das Abenteuerepos ist in der Frühzeit angesiedelt und erzählt die Geschichte des jungen Torak, der mit seiner Freundin Renn und einem Wolf gegen die Seelenesser kämpfen muss ? Menschen, die die Macht haben, das Böse zu entfesseln.
Zwerge sind noch immer hoch im Kurs, und so kommt im März mit Zwergenmacht (Heyne) der zweite Teil der Reihe von Dennis L. McKieran. Sein Vorgänger, Der letzte Kampf der Zwerge, zeichnete sich nicht durch übermäßige Brillanz aus, doch Freunde des Kleinen Volkes geben der Armee König Dureks bestimmt eine zweite Chance.
Apropos »Zwerge«. Wussten Sie bereits, dass der Erfolgszug von Stan Nicholson (Die Orks) letzten Endes vor allem dem genialen Schachzug einer Lektorin zu verdanken ist? Diese nämlich fügte mehrere Titel des Autors in Deutschland zu einem zusammen und gab ihnen einen neuen (und werbetechnisch zur Zeit des Hypes um die Verfilmung des Herrn der Ringe höchst klugen) Namen: Die Orks. Gleich legte der Verlag mit einer phantastischen Reihe des Autors um Caldason und seine Gefährten (Der magische Bund) nach. Mit Das magische Zeichen (Heyne) wird die Geschichte der Gefährten des Magischen Bundes nun im April fortgesetzt. In ihrem Kampf gegen die Finsternis streiten die Rebellen aus Bhealfa um ihre Freiheit, um letzten Endes mit Caldasons Hilfe auf einer Insel voller Magie ihr neues Reich zu errichten.
Gleichfalls im April geht mit Dunkelheit (Heyne) der erste Teil der Reihe um Die schwarzen Juwelen an den Start. Anne Bishop entführt ihre Leser in eine dunkle Geschichte um die Herrin aller Hexen. Selbstverständlich gibt es Mächte, die sich der Ankunft der Hexe entgegenstellen sollen. Das Cover des Bandes (laszive Frau mit sexy Kleidung) zeigt auf den ersten Blick, was den Leser erwartet: Liebe, Macht und Obsession. Genau das Richtige für emanzipierte Junghexen.
Im gleichen Monat gibt es wieder einmal die Möglichkeit, einem neuen Zyklus einer deutschen Autorin eine Chance zu geben. Sarah Zettel erzählt mit Die Intrige der Kaiserin den ersten Teil von Das Licht von Isavalta (Blanvalet). Im Jahr 1899 rettet eine Leuchtturmwärterin das Leben eines Mannes in sonderbarer Kleidung, der ihr eine ebenso sonderbare Geschichte erzählt. Er stamme aus einer Parallelwelt, in der die Herrin des Leuchtturms ihre Bestimmung zu erfüllen habe?
Im dritten Band (1: Vorübergehend tot, 2: Untot in Dallas) um die charmante und etwas schräge Sookie Stackhouse und ihren Geliebten, den Vampir Bill, liefert Charlaine Harris mit Club Dead (Feder & Schwert) erneut Horror und Humor aus der Perspektive des ländlichen Amerika. Die Sprache ist eher einfach gehalten und die Protagonisten sind teilweise himmelschreiend naiv. Und doch ist dem Mannheimer Verlag mit der leichten, ansprechenden Lektüre ein großer Wurf gelungen. Besonderes Lob geht einmal mehr an Oliver Graute für die auffallend guten Coverentwürfe.
Im Mai schließlich können nicht nur Asien-Fans sich auf das Finale der grandiosen Otori-Trilogie (1: Das Schwert in der Stille, 2: Der Pfad im Schnee) freuen. In Der Glanz des Mondes (Carlsen) erzählt Liam Hearn von Takeo und Kaede, die gegen den Willen ihrer Clans geheiratet haben. Doch das Glück währt nicht lang: Takeo muss in die Schlacht ziehen, und lässt eine bangende Kaede zurück. Werden sich die Prophezeiungen, die ihrem Gatten einst gemacht wurden, nun erfüllen?
Einzeltitel
Wenngleich klug als Fortsetzung vermarktet, ist das bereits Ende 2004 erschienene Die Ahnen von Avalon (Diana) eigentlich doch ein Einzeltitel. Diana L. Paxon, eine Freundin der 1999 verstorbenen Marion Zimmer Bradley, hat, so verkündet es der Umschlag, mit Hilfe der Aufzeichnungen der Verstorbenen den Zyklus um die Nebel von Avalon abgeschlossen. Wer Zimmer-Bradley schätzt, sollte ihren »Ahnen« eine Chance geben.
Vom Cover Herr der Ringe pur (samt Schicksalsberg und Wetterspitze) ist Die Macht der magischen Steine (Beltz) von Katharina von Pannewitz im keltischen Genre angesiedelt, in der den Leser Helden, Zauberer, Elben, Zwerge und Magie, kurz: klassische Fantasy erwartet, die im Gegensatz zum Cover nicht auf dreiste Tolkien-Parallelen setzt. Niam, Tochter des Sonnengottes und zukünftige »Herrin der Stimme«, macht sich mit Prinz Emrys (in den sie sich prompt verliebt) und dem Druiden Gwydón auf, um ihr Land zu retten. Nichts Neues, ja, aber der Weinheimer Verlag hat einmal mehr gezeigt, dass er seine Titel und Autoren mit Liebe und Verstand auszuwählen vermag.
Ins viktorianisch angehauchte London taucht ein, wer dem Waisenkind Lycidas (Heyne) auf der Suche nach ihrer Herkunft in die geheimnisvolle Stadt unter den Straßen Londons folgt. An Neil Gaimans Neverwhere kommt das unterirdische London von Christoph Marzi zwar nicht heran, aber der bereits im Dezember erschienene Roman bietet dennoch eine stimmungsvolle, dichte Erzählung.
Ende Januar erschien Der mechanische Prinz (Piper). Andreas, Steinhöfel, einigen vielleicht von seinem liebenswerten Jugendroman Die stille Mitte der Welt bekannt, erzählte die Geschichte von Max, dem »egalsten«, traurigsten und sprachlosesten Kind der Welt. Mutterseelenallein streift er durch Berlin und wird fast wahnsinnig vor Einsamkeit, bis ihm ein Bettler ein goldenes Ticket für die Fahrt in das Land gibt, in dem der kleine Junge sich selbst heilen können soll. Ein phantastisches Abenteuer und ein poetisches und kluges Buch eines wunderbaren deutschen Autors.
In Moskito (cbj) katapultiert ein Unfall den 13-jährigen Sam mitten hinein in eine Albtraumwelt voller gigantischer Wespen und Furcht einflößender Hunde und einem Herrscher, dessen Ziel die Vernichtung der Menschheit ist. Steve Voake schickt Sam und seine Freundin Skipper auf eine spannende und unheimliche Reise in eine dunkle Zukunft.
Im Februar kommt mit Die blaue Stute (Klett Cotta) ein »Mädchenbuch für Romantiker« auf den Markt. Jamieson Findlay macht den Leser mit Syeira bekannt, einem Mädchen, das ein magisches Band mit einer jungen Stute verbindet, deren Zwillingsfohlen entführt wurde. Das klingt nach Kitsch in Tüten? In gewisser Weise ist es das auch. Und doch ist das sprachlich einnehmende Buch eine märchenhafte Perle voll zauberhafter Wortmagie.
Rasanter geht es allerdings in Die Suche nach der Vorherbestimmung (gleicher Verlag, gleiches Erscheinungsdatum) zu. In dem rasanten Werk des Russen Boris Strugatzki (Bruder von Arkadi; beide sollten Phantastik-Begeisterten bereits ein Begriff sein) ist der Programmierer Stanislaw Krasnogorow bereits 23mal in seinem bislang 30 Jahre währenden Leben nur knapp dem Tod entkommen. Jetzt reicht es ihm. Mit unerschütterlicher Entschlossenheit macht er sich auf die Suche nach einer Gesetzmäßigkeit hinter dem Zufall, nach etwas, das ihn zu retten, zu beschützen und für ein unbekanntes Ziel »aufzuheben« scheint.
Serien
Bereits im Dezember erschien mit 05:58 (Heyne) ein neuer Shadowrun-Roman von Markus Heitz. Im März folgt mit Die Anfänger (ebenfalls Heyne) ein weiterer Titel in der Welt der Runner. Ivan Nedic erzählt die Geschichte einer Gruppe von Schattenläufern, deren ersten Run in einer Katastrophe endet, noch ehe er begonnen hat. Auf gute alte Bekannte aus dem Shadowrun-Universum trifft man in Quickshot (FanPro) von Lara Möller: Wem Ash gefallen hat, der sollte auch hier zugreifen.
Seit Januar liegt mit Wolfsschwert (Heyne) ein neuer Warhammer 40.000 Roman von William King in den Buchregalen. Nachtjäger von Graham McNeill folgt im April. Einmal mehr geht es in der Science Fiction-Variante des Rollenspiels in einer düsteren Zukunft vor allem um eines: zu überleben.
Auch für Dere-Begeisterte hält das Frühjahr neues Lesefutter bereit. Mit Verschwörung in Havena (Piper) von Hans Joachim Alpers erscheint der vierte Teil der Abenteuer der Amazone Rhiana.
Von Randall Bills gibt es Neues von Battletech. Mit Traum (FanPro) erscheint nach Abkehr im Februar der zweite Teil der Clangründer-Trilogie; Bande folgt als krönender Abschluss im April.
Anthologien
Im April erscheint Drachennächte (dtv galleria), eine Fantasy-Anthologie, in der Roman Sander zehn neue und ältere Geschichten von Autoren wie Terry Pratchett, Peter S. Beagle, Lucius Shephard oder Marion Zimmer Bradley gesammelt hat.
Phantastik der etwas anderen Art gefällig? Dieser Tage macht der Festa-Verlag einmal mehr, was er besonders gut kann: Schätze ausgraben.
Mit Der gestohlene Traum (Festa) sammelt Rein A. Zondergeld phantastische Geschichten niederländischer Autoren. Der Blick in das Nachbarland ist ? fernab der üblichen britischen und amerikanischen Verdächtigen ? allemal eine Investition wert.
Lust auf Science Fiction? Vier Geschichten um den Molloch (Bastei) Stadt vereint Peter Growther im Februar ? an Bord Ryman, di Filippo, Moorcock und China Miéville.
Und sonst?
Schon wieder Zwerge, doch diesmal anders: Bereits im November erschien mit Das Zwergenbuch (dtv premium) ein ganz und gar reizendes Buch rund um die Eigenheiten und liebenswerten Macken der Zwerge, Kobolde, Wichtel und Heinzel. Ditte und Giovanni Bandini werfen einem Blick auf in Vorgärten, Kinofilm und (Fantasy-)Literatur.
Mit Die Helden von Muddelerde (Sauerländer) tummelt sich seit Ende des letzten Jahres auch eine weitere Parodie auf Altbekanntes in den Regalen. Paul Stewart und Chris Riddell erzählen von Jeff Jefferson mit dem Topf auf den Kopf, Randalf dem Weisen und Dr. Knudel (Psst, sprich seinen Namen nicht aus!). Eigentlich wollte Jeff nur kurz mit seinem Hund vor die Tür gehen, doch plötzlich ist er mittendrin in Muddelerde, heißt jetzt »Joe der Barbar« und muss ein großer Held sein?
Potter am Horizont
Es ist wirklich und wahrhaftig wahr: Joanne K. Rowling, die sich mit Band 5 ungleich mehr Zeit ließ, als je geplant, scheint zu einem flüssigen Schreibrhythmus zurückgefunden zu haben. Im Juli erscheint in England der sechste Teil der zauberhaften Reihe von J. K. Rowling um einen Brillenträger mit Zackennarbe: Harry Potter and the Half-Blood Prince. Zum deutschen Erscheinungstermin schweigt sich Carlsen bislang aus. Kein Wunder, müssen doch erst Umfang und Originaltext gesichtet werden. Mit etwas Glück klappt es ja zum Weihnachtsgeschäft, was nicht nur im Sine des Verlegers sein dürfte. Bis zur nächsten NAUTILUS werden wir es wissen.
Bis dahin wünscht noch so viele herrliche Schmökerstunden, wie der Alltag irgend freizugeben bereit ist
Momo Evers
- Kurzrezensionen für eilige Leser -
Das besondere Buch
Drachenjäger aufgemerkt!
Wer den Verlag Ars Edition kennt, der schätzt seine liebevoll gestalteten Titel. Ein wahres Meisterwerk ist nun mit Expedition in die geheime Welt der Drachen (Ars Edition 2004) gelungen. »Dr. Ernest Drake«, seines Zeichens »Drachologe« ist fiktiver Herausgeber des überformatigen Bandes in herrlich mehrfarbig geprägter Lederoptik, verziert mit Glassteinen. Das wunderschöne Layout überrascht mit Briefen zum Herausnehmen, mit Klappkarten, »kleinen Büchern im Buch«, versteckten Hinweisen und haptischen Elementen. Drachenhaut kann man hier ebenso ertasten wie echten (!) Drachenstaub bewundern. Wer schon immer mehr über Biologie und Physiologie der Drachen wissen wollte, erfährt dies hier (im Stil alter Medizinbüchern in »Schichten zum Aufklappen«) ebenso wie alles darüber, wie man die »geflügelten Bestien« findet und zähmt. Und wer sich auf der letzten Seite in dem Auge des Drachen zu spiegeln vermag, der ist dazu auserkoren, einst selbst Meister der Drachenkunde zu werden. Denn: Eines Tages »werden viele unwidersprochen behaupten, dass es nie Drachen gab, außer in der Fantasie. Dies aber darf nie geschehen!«
Ein herausragendes »Sach«buch zum Schmunzeln und Staunen für große und kleine Drachenfans, mit 24,90 EUR zwar nicht gerade billig, aber dennoch jeden Cent wert.
© Momo Evers
Fantasy-Zyklen unter der Lupe
Kurz aber wundervoll
Die Windsänger-Saga
Nicht mehr ganz neu und mit seinen drei Bänden nur mit viel Wohlwollen als Zyklus zu bezeichnen, dafür aber ganz und gar wundervoll ist die Windsänger-Saga von William Nicholson (dtv junior), deren drei Teile (Der Windsänger, Gefangene des Meisters und Das Lied des Feuers) es mittlerweile auch gemeinsam im praktischen Schuber zu kaufen gibt. Ein Jugendbuch, ja, aber ein fesselndes, mit Sprachbildern und Charakteren, die unter die Haut gehen, mit treffsicherer Hand geschrieben, und für junge und ältere Freunde der Phantastik nachgerade ein Muss.
In Aramanth hat alles seine Ordnung. Nur der Windsänger, ein uraltes schiefes Gebilde mitten auf dem Marktplatz, will nicht recht in die Idylle passen, denn er ist zu nichts Nutze, und hässlich ist es überdies. Vor langer Zeit, so heißt es, marschierten die Saren, die grauenvollsten Kämpfer, die man sich vorstellen kann. Und im Tausch gegen den Frieden gab man ihnen die Stimme des Windsängers zum Pfand.
Heute leben die Menschen in Aramanth in Kasten: Jeder muss stets sein bestes geben und sich beständig Prüfungen unterziehen. Ist er gut, steigt er in der gesellschaftlichen Hierarchie auf; ist er schlecht, steigt er ab. Neid und Missgunst herrschen, und Konkurrenz ist das oberste Gebot. Die Aramanther selbst aber sind es zufrieden, denn was könnte gerechter sein, als dass jedem ? egal aus welcher Schicht er stammt ? die gleiche Chance geboten wird?
Die Familie Hath (Vater Hanno, Mutter Ira, die Zwillinge Kestrel und Bowman und die kleine Pinpin) lebt im orangenen Bezirk und somit in der »guten Mitte«. Doch sie hassen Prüfungen. Allen voran ihre Tochter Kess. Eines Tages reicht es ihr, und sie sagt, was sie denkt. Eltern und Geschwister steht hinter ihr, doch als Störenfriede der öffentlichen Ordnung ist nun die ganze Familie in Gefahr.
Gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Bowman und dem schwachsinnigen Mumpo macht Kess sich auf den Weg, um dem Windsänger seine Stimme zurückzugeben ? eine Stimme, die den Menschen Herzen und Augen öffnen können soll?
In der Windsänger-Saga (deren erster Teil der obere Textauszug grob anreißt) weht ? fernab von »Hack & Slay« ? der Geist einer Unendlichen Geschichte durch die Seiten, besinnt sich Nicholson auf jene Urelemente der Phantastik, in denen ein Hauch von Moral und Gesellschaftskritik der spannenden Erzählung zusätzliche Tiefe und Gänsehaut-Garantie zu geben vermögen. Nicholson findet den Mut zum Fabulieren, ohne dabei ins Gigantomanische auszuufern, springt leichtfüßig von Szene zu Szene und lässt jene, die immer und jederzeit nach Machbarkeit und Realismus fragen, ihr Anliegen vergessen.
Wer die Windsänger-Saga nicht kennt, der sollte sie lesen. Es ist ein gutes Buch. Eine jener raren Perlen, die man ohne zu zögern verschenken kann und in 99% aller Fälle einen Volltreffer landen wird.
© Momo Evers
Kurzrezension für den eiligen Leser
Fantasy meets Science Fiction
Hohlbein einmal anders
Irgendwie »anders« ist die neue, vierbändige Serie von Heike und Wolfgang Hohlbein (Ueberreuter) tatsächlich, dabei ist die Story relativ simpel: Anders, der hochbegabte Sohn eines mächtigen Industriemoguls, ist auf dem Weg in den Sommerurlaub, als die kleine Cessna entführt wird und in den Bergen abstürzt ? mitten hinein in eine geheimnisvolle Ruinenstadt. Knapp den Angriffen der seltsamen Wächter der Stadt entkommen, wird er bei den Tiermenschen aufgenommen, doch als er zusammen mit dem Katzenmädchen Katt flieht, wird er von den elbenhaften Eldern ergriffen und in die weiße Stadt Tiernan gebracht. Immer tiefer dringt Anders in die verbotenen Geheimnisse dieser sonderbaren Welt ein, in der die verschiedenen Spezies ein mittelalterliches Dasein fristen, in ständiger Angst vor den hochtechnisierten »Drachen«, die aus Anders? Welt stammen. Bald wird klar, dass Anders tiefer in das Geschehen verwickelt ist, als er sich je hätte träumen lassen…
Sobald man sich durch die langatmigen ersten 50 Seiten gearbeitet hat, erwartet einen eine spannende Geschichte, die zwar einige vorhersehbare, aber auch genug unerwartete Wendungen nimmt, die düster ist, manchmal wütend oder traurig macht und die durch die Liebesgeschichte zwischen Anders und Katt sogar ein wenig romantisch wird.
Die Hauptfigur Anders ist der beste Beweis dafür, dass auch Hochintelligente in erster Linie Menschen sind ? hier ein verwöhnter, pubertierender Junge, der alles besser zu wissen glaubt, in seinem Eifer Verantwortung mit Dickköpfigkeit verwechselt und (trotz gelegentlichen guten Willens) nicht nur alle vor den Kopf stößt, sondern sogar das Mädchen, das er liebt, in tödliche Gefahr bringt. Hin und wieder fühlt man sich hier stark an Tolkiens »Herrn der Ringe« erinnert, der Stil bleibt aber unübersehbar Hohlbein.
Wolfgang und Heike Hohlbein haben hier eine Reihe geschaffen, die zwar auf Fantasy basiert, die aber mit einem Schuss Science Fiction gewürzt wird und leicht utopische Züge trägt, denn Tiermenschen scheinen durch die Gentechnik gar nicht mehr so unrealistisch…
Erhältlich sind alle vier Bände im Ueberreuter-Verlag als Hardcover mit originell gestalteten Schutzumschlägen, deren Rücken den Schriftzug »anders« bilden und deren Coverillustrationen ein zusammenhängendes Bild ergeben.
Ein Muss für alle Hohlbein-Fans, und lesenswert für alle, die Fantasy ein wenig »anders« mögen.
© Melanie Schraa